Storytelling ist der Grund, warum wir alle hier sind, unser raison d’être. Jeder ist den ganzen Tag damit konfrontiert, ob aktiv oder passiv. Heutzutage finden wir diesen Begriff jedoch häufig im Unternehmenskontext, insbesondere im Marketing und der PR. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum viele Künstler das Konzept nicht mögen. Bitte tappe nicht in diese Falle. Wir sollten diese Idee von ganzem Herzen annehmen: Storytelling ist nichts weniger als das, was uns zu Menschen macht. Geschichten sind unsere Art, der Welt einen Sinn zu geben … und das Teilen bedeutet, sich für unsere Gemeinschaft einzusetzen.
Theorie zuerst: Definition von Story & Plot
“Ich mag gute Geschichten, die gut erzählt sind. Das ist der Grund, warum ich manchmal dazu gezwungen bin, sie selbst zu erzählen.”
– MARK TWAIN
Wenn wir von gutem Storytelling sprechen, meinen wir gute Geschichten, die gut erzählt werden. Ein Großteil der Kraft einer Geschichte kommt von der Art und Weise, wie wir sie erzählen. Das Erzählen der Geschichte bezieht sich dabei auf das universelle Prinzip, nach dem der Geschichtenerzähler die Geschichte Stück für Stück dem Publikum offenbart. Daher müssen wir immer zwischen der Prämisse, der reinen Idee, und dem Erzählkonzept unterscheiden.
Storytelling for Filmmakers – the basics.
Fangen wir am Anfang an: Der kleinste gemeinsame Nenner jeder Geschichte ist die Veränderung. Erst wenn sich etwas ändert, gibt es überhaupt einen Grund, eine Geschichte zu erzählen. Jede Geschichte besteht aus den gleichen Bausteinen, die Story Beats genannt werden. Sie sind ganz einfach und geradlinig:
Story Beats | Bedeutung |
BEDÜRFNIS | Der blinde Fleck der Hauptfigur, der sie in der Geschichte zurückhält |
ZIEL | Das Ziel der Hauptfigur, das sie mit brennendem Verlangen verfolgt |
GEGNER | Mindestens eine echte Person, die der Hauptfigur im Weg steht |
STRATEGIE | Die Art und Weise, wie die Hauptfigur beabsichtigt, ihr Ziel zu erfüllen |
FINALE | Die obligatorische Szene der Geschichte, die Erfolg oder Misserfolg zeigt |
ERKENNTNIS | Die Lektion, die normalerweise die Hauptfigur lernt |
ENDE | Glückliches, Erhebendes, Bittersüßes oder Trauriges Ende, je nachdem, ob die Hauptfigur ihr Ziel und/oder ihr Bedürfnisse erreicht |
Von Beginn des Schreibprozesses an sollten wir wissen, welche Geschichte wir erzählen wollen und wie wir sie erzählen wollen. Es ist völlig in Ordnung, wenn sich beides unterwegs ändert, und das wird es, ganz bestimmt. Es ist jedoch ein großer Fehler, blind in den Prozess einzusteigen, da wir dann mit Sicherheit auf alle möglichen Probleme stoßen werden.
Storytelling anstatt Dramaturgie
Dramaturgie kommt von Drama. Da nicht alle Geschichten Dramen sind, halte ich Plot für den weitaus besseren Begriff. Nicht nur, weil er international zur Anwendung kommt, sondern vor allem deshalb, weil in Deutschland ein beinahe zwanghafter Fokus auf dem dramatischen Erzählen liegt. Die Schattenseiten des Storyellings wird deutlich, wenn einer Geschichte von außen falsche Strukturen aufgezwungen werden. Ebenso wie mit der Dramaturgie verhält es sich mit dem Modell der Heldenreise, das einen Abenteuer-Plot zugrunde legt, den es aber nicht zwangsläufig immer geben muss.
Erst wenn wir uns auf das Erzählen als solches fokussieren, auf die persönliche, individuelle Geschichte eines Autors, können wir die Geschichten von der Verpflichtung befreien, bestimmte Plot Points – Wendepunkte – treffen zu müssen. Stell dir einfach immer diese Frage: Was möchtest du erzählen? Dies hier sind die grundlegenden Plot Beats für jede Art von Handlung, verglichen mit der Heldenreise und der dramatischen Story-Struktur. Einige dieser Plot Beats dürften dir bereits von den Story Beats bekannt vorkommen:
Plot Beats | Die Heldenreise | Dramatische Struktur |
VORGESCHICHTE (Wunde & Welt) |
Die gewöhnliche Welt | Exposition |
BEDÜRFNIS | Der Held | Die Hauptfigur |
AUSLÖSER | Der Ruf des Abenteuers | Das Auslösende Moment |
ZIEL | Die Reise | Die Dramatische Frage |
VERBÜNDETE | Übernatürliche Hilfe | |
GEGNER | Hindernisse | |
VERRÄTER | ||
ERSTER WENDEPUNKT | Überschreiten der ersten Schwelle | Übergang in den 2. Akt |
STRATEGIE | Im Bauch des Wals | |
COUNTER STRATEGY | ||
AUSFÜHRUNG | Weg der Prüfungen | Konfrontation |
ANGRIFF DER VERBÜNDETEN | Komplikation | |
SCHEINBARE NIEDERLAGE | Frau als Verführerin | Das Retardierende Moment |
ZWEITER WENDEPUNKT | Die Versöhnung mit dem Vater | Übergang in den 3. Akt |
VERRÄTER OFFENBART | ||
DRITTER WENDEPUNKT | Gottwerdung | |
KONFRONTATION MIT TOD | Magischer Flug und Verfolgung | |
FINALE | Rückkehr | Klimax |
ERKENNTNIS | Meister beider Welten | Katharsis |
ENDE | Freiheit zu leben | Auflösung/Denouement |
Wir sind nicht an diese Reihenfolgegebunden, da dies ein sehr modularer und flexibler Ansatz für das Geschichtenerzählen ist. Je länger eine Geschichte wird, desto mehr dieser Elemente in verschiedenen Variationen brauchen wir, um unser Publikum bei der Stange zu halten. Je nachdem, wie viele Storylines verwoben werden, kann so ein unglaublich hoher Grad der Komplexität erreicht werden.
Storytelling ist Handwerk
„Die Kunst des Erzählens neigt ihrem Ende zu, weil die epische Seite der Wahrheit, die Weisheit, ausstirbt.“
– WALTER BENJAMIN
Storytelling ist nicht nur eine Methode, erzählerische Kunst zu erschaffen, sondern auch eine Art, sie zu verstehen. Wie teilen sich Künstler ihrem Publikum mit? Erzählen sie eine Geschichte oder versuchen sie das Erzählen zu untergraben? Welche erzählerischen Elemente setzen sie wie ein? Wir können an dieser Stelle auch von Story Design sprechen, denn beim Erzählen geht es um echte, handwerkliche Techniken.
Randnotiz: Visuelles Storytelling
Im Film ist das Storytelling viel direkter als in anderen Medien, da hier die Action (die Handlung der Figuren) im Vordergrund steht. Beim Theater ist das der Dialog (die Handlung durch Sprache), bei Games ist es die Interaktion (die Handlung wird vom Spieler geliefert). Das Kino hat sich aus dem Stummfilm entwickelt, der im Wesentlichen nur durch das Handeln der Figuren erzählen konnte. Visuell zu erzählen bedeutet also etwas zu zeigen anstatt es auszusprechen. Wer tut was mit welcher Motivation und ist er dabei erfolgreich oder nicht? Hier findest du mehr über Filmgeschichte und Filmgegenwart.
Mehr Lesen:
- Joseph Campbell: The Hero with a Thousand Faces
- Chris Vogler: The Writer’s Journey: Mythic Structure for Writers
- John Truby: The Anatomy of Story
- Robert McKee: Story
- Keith Cunningham: The Soul of Screenwriting
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Ein paar Worte zu mir: Als Autor-Regisseur schreibe ich meine eigenen Geschichten. Für Schüler habe ich das eBook Die ultimative Lektürehilfe als Lernhilfe verfasst. Außerdem gebe ich Schreibseminare und Filmworkshops.