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Storytelling-Geheimnisse — Über die Heldenreise, Dramaturgie & andere Schreibmodelle

Gutes Storytelling kann fesseln, bewegen und inspirieren. Es kann in andere Welten entführen, Emotionen wecken und neue Perspektiven bieten. Doch wie gelingt es uns, eine Geschichte so zu gestalten, dass sie ihr volles Potenzial entfaltet und das Publikum in ihren Bann zieht? In diesem Beitrag schauen wir uns an, welche Elemente in einer Story stecken, welche in einem Plot und wie das ganze miteinander zusammenhängt.

“Ich mag gute Geschichten, die gut erzählt sind. Das ist der Grund, warum ich manchmal dazu gezwungen bin, sie selbst zu erzählen.”

– MARK TWAIN

Eine kurze Drehbuchtheorie: Storytelling anstatt Dramaturgie

In der Drehbuchtheorie kursiert eine Vielzahl an Fachbegriffen, die aus meiner Sicht oft falsch verstanden werden. Zum Beispiel wird gerne von Dramaturgie gesprochen, egal um welches Genre einer Geschichte es sich handelt. Dramaturgie bedeutet allerdings wortwörtlich „die Lehre vom Drama“. Da nicht alle Geschichten Dramen sind, halte ich Storytelling für den weitaus besseren Begriff. Nicht nur, weil er international zur Anwendung kommt, sondern vor allem deshalb, weil der zwanghafte Fokus auf das dramatische Erzählen aufgelöst werden sollte, damit wir uns mehr Expertise in anderen Genres aneignen können.

Organische Stoffentwicklung anstatt der Verwendung unflexibler Schreibmodelle

Ähnlich wie mit der Dramaturgie verhält es sich mit den verschiedenen Modellen der Heldenreise. Wie der Name schon sagt, steht im Mittelpunkt der Heldenreise eine Heldenfigur, die auf eine Reise geht. Es handelt sich ganz spezifisch um eine Form der Abenteuergeschichte, die aber nicht jeder Geschichte zugrunde liegt. Hier sehen wir schlicht und ergreifend den größten Fehler in der Stoffentwicklung: Das Aufzwingen falscher Strukturen von außen. Erst dann, wenn wir Filmideen organisch entwickeln, können einzigartige Filme mit einer individuellen Handschrift entstehen und Autoren endlich das ausdrücken, was sie wirklich ausdrücken möchten.

Die Definition von Story & Plot

Die Story: Grundlage fürs Drehbuch

Fangen wir mit der Story an: Der kleinste gemeinsame Nenner jeder Geschichte ist die Veränderung. Erst wenn sich etwas ändert, gibt es überhaupt einen Grund, eine Geschichte zu erzählen. Jede Geschichte besteht dabei aus den gleichen Bausteinen, die Story Beats genannt werden. Sie können ganz einfach und geradlinig sein, hier am Beispiel von KRIEG DER STERNE:

Story BeatBedeutungBeispiel
BEDÜRFNISDer blinde Fleck der Hauptfigur, der sie in der Geschichte zurückhält.Luke muss ein Held werden.
ZIELDas Ziel der Hauptfigur, das sie mit brennendem Verlangen verfolgt.Luke will Prinzessin Leia Organa aus den Fängen des Imperiums retten.
GEGNERMindestens eine echte Person, die der Hauptfigur im Weg steht.Darth Vader, die Mensch-Maschine, dunkler Lord der Sith und rechte Hand des Imperators.
STRATEGIEDie Art und Weise, wie die Hauptfigur beabsichtigt, ihr Ziel zu erfüllen.Luke trainiert mit Obi-wan Kenobi und setzt seine Fähigkeiten als Jagdpilot ein.
FINALEDie obligatorische Szene der Geschichte, die Erfolg oder Misserfolg zeigt.Verfolgungsjagd gegen Darth Vader, Luke zerstört den Todesstern.
ERKENNTNISDie Lektion, die normalerweise die Hauptfigur lernt.Die Macht ist mit Luke, er hat gelernt ihr zu vertrauen.
ENDE4 Arten, je nachdem, ob die Hauptfigur ihr Ziel und/oder ihr Bedürfnis erreicht:
  • Glückliches Ende
  • Erbauliches Ende
  • Bittersüßes Ende
  • Trauriges Ende
Happy End, alle bekommen eine Medallie (außer Chewbacca).

Prämisse vs. Erzählkonzept: Grundlage der Handlungsführung

Die Kraft einer Geschichte entsteht durch die Art und Weise, wie wir sie erzählen. Das Erzählen der Geschichte bezieht sich dabei auf das universelle Prinzip, nach dem der Geschichtenerzähler die Geschichte Stück für Stück dem Publikum offenbart. Daher sollten wir immer zwischen der Prämisse, also der reinen Idee, und dem daraus erwachsenden Erzählkonzept unterscheiden. Das Erzählkonzept bildet die Grundlage des Plots, für dessen Entwicklung aber noch eine ganze Reihe anderer Dinge notwendig sind.

PrämisseErzählkonzept
RUSH: Die gnadenlose Rivalität der Formel-1-Rivalen James Hunt und Niki Lauda in den 1970er Jahren.Die wahre Geschichte wird erzählt wie ein Rennen zwischen den beiden Rennfahrern. Wer hat im Leben die Nase vorn?
DER STADTNEUROTIKER: Ein neurotischer New Yorker Komiker versucht, Liebe zu finden und seine verschiedenen Ängste und Unsicherheiten in der großen Stadt auszugleichen.In jeder neuen Beziehung versucht Alvy das, was er mit seiner großen Liebe Annie hatte, wieder aufleben zu lassen, aber ist dabei zum Scheitern verurteilt, weil jede Frau anders ist.

Der Plot: Welches Schreibmodell ist das Richtige?

Wer sich mit dem Schreiben beschäftigt, stößt auf unglaublich viele verschiedene Modelle, mit denen man den Plot von Geschichten entwickeln kann. Ob es die Poetik von Aristoteles, Chris Voglers Heldenreise, Blake Snyders Save the Cat oder Dan Harmons Story Circle ist – vieles kommt auf den persönlichen Geschmack an, aber noch viel mehr auf das, worauf der entsprechende Autor hinaus möchte.

Die Heldenreise in der Praxis

Erst wenn wir uns auf das Erzählen als solches fokussieren, auf die persönliche, individuelle Geschichte, können wir die Geschichten von der Verpflichtung befreien, bestimmte Plot Beats treffen zu müssen. Stellt euch einfach immer diese Frage: Was möchtet ihr erzählen? Hier sind die grundlegenden Plot Beats für jede Art von Handlung, verglichen mit einem allgemeinen Modell der Heldenreise und einer allgemeinen, „klassischen Dramaturgie“. Einige Plot Beats dürften euch bereits von den Story Beats bekannt vorkommen:

Die Heldenreise„Klassische Dramaturgie“Plot Beat
Die gewöhnliche WeltExpositionVORGESCHICHTE (Wunde & Welt)
Der HeldEinführung der HauptfigurBEDÜRFNIS
Der Ruf des AbenteuersDas Auslösende MomentAUSLÖSER
Die ReiseDie Dramatische FrageZIEL
Übernatürliche HilfeVERBÜNDETE
Hindernisse GEGNER
 VERRÄTER
Überschreiten der ersten SchwelleÜbergang in den 2. AktERSTER WENDEPUNKT
Im Bauch des WalsSTRATEGIE
 GEGNERISCHE STRATEGIE
Weg der PrüfungenKonfrontationAUSFÜHRUNG
KomplikationANGRIFF DER VERBÜNDETEN
Frau als VerführerinDas Retardierende MomentSCHEINBARE NIEDERLAGE
Die Versöhnung mit dem VaterÜbergang in den 3. AktZWEITER WENDEPUNKT
 VERRÄTER OFFENBART
GottwerdungDRITTER WENDEPUNKT
Magischer Flug und VerfolgungKONFRONTATION MIT TOD
RückkehrKlimaxFINALE
Meister beider WeltenKatharsisERKENNTNIS
Freiheit zu lebenAuflösung/DenouementENDE

Wir sind nicht an die Reihenfolge dieser Elemente gebunden, da dies ein sehr modularer und flexibler Ansatz für das Geschichtenerzählen ist. Außerdem gilt, je länger eine Geschichte wird, desto mehr Elemente brauchen wir, um unser Publikum bei der Stange zu halten. Je nachdem, wie viele Storylines miteinander verwoben werden, kann so eine noch höhere Komplexität erreicht werden.

Storytelling ist Handwerk

„Die Kunst des Erzählens neigt ihrem Ende zu, weil die epische Seite der Wahrheit, die Weisheit, ausstirbt.“

– WALTER BENJAMIN

Von Beginn des Schreibprozesses an sollten wir schon einmal eine Ahnung haben, welche Geschichte wir erzählen wollen und wie wir sie erzählen wollen. Es ist völlig in Ordnung, wenn sich beides unterwegs ändert, und das wird es, ganz bestimmt. Es ist jedoch ein großer Fehler, blind in den Prozess einzusteigen, da wir dann mit Sicherheit auf alle möglichen Probleme stoßen werden und wir uns ja nicht ständig wie ein Fähnchen im Wind drehen wollen.

Mit diesem Beitrag konnte ich euch hoffentlich ein paar neue Gedankenanstöße mitgeben. Ansonsten gibt es zum Abschluss noch eine kleine Literaturliste, die ich sehr empfehlen kann.

Mehr Lesen:

  • Joseph Campbell: The Hero with a Thousand Faces
  • Chris Vogler: The Writer’s Journey: Mythic Structure for Writers
  • John Truby: The Anatomy of Story
  • Robert McKee: Story
  • Keith Cunningham: The Soul of Screenwriting