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Ergocinema / Film / Mainstream

Die Angst vor dem Mainstream

Wer vom „Mainstream“ spricht, meint damit den Geschmack der Massen. Viele Filmemacher fürchten um ihre Einzigartigkeit und wollen sich um jeden Preis von diesem Massengeschmack absetzen. Doch wie berechtigt ist ihre Angst? Und gibt es vielleicht einen Mittelweg, um Filme zu machen, die originell sind und trotzdem eine Chance haben, bei einem großen Publikum Anklang zu finden?

Die meisten Kinofilme sind lange nicht so gut, wie sie sein könnten. Vor allem in Deutschland. Das liegt an den politischen Rahmenbedingungen, an den Produktionszwängen in der Filmbranche und schließlich auch an den Filmemachern selbst. Jedes Medium hat seinen Mainstream. Manchmal spricht man auch von der Popkultur:

  • Mainstream-Medien: beliebteste Nachrichtenmedien
  • Straßenfeger: beliebteste Fernsehsendungen
  • Popmusik: beliebteste Songs

Im Filmbereich sind damit Blockbuster wie Marvels THE AVENGERS gemeint. Die weltweiten Kinocharts zeigen Jahr für Jahr ganz deutlich, was die Zuschauer sehen wollen. Von den beliebtesten Genres wird aber gerade hierzulande kaum bis gar nichts produziert. Das liegt aus meiner Sicht hauptsächlich daran, dass viele deutsche Filmemacher ein Problem mit dem Blockbuster-Film haben. Sie wollen den Mainstream nicht unterstützen, weil sie dadurch ihre künstlerische Integrität gefährdet sehen.

Sich im Mainstream einordnen

Lieber Arthouse als Mainstream

Der Mainstream wird immer angegriffen.
– BILL GATES

In den 90ern hieß es noch Kunst oder Kommerz, aber ist das wirklich ein Widerspruch? Dieses Schwarz-Weiß-Denken führt dazu, dass sich viele Macher vom Publikum abwenden. Natürlich sind die meisten Mainstream-Filme platt, klischeehaft und oberflächlich. Selbstverständlich! Aber das gilt für die meisten Arthouse-Filme ebenso. Arthouse ist ein Begriff, der immer wieder gegen Mainstream ins Feld geführt wird, der aber einen starken Bedeutungswandel erfahren hat.

Video: Sind Drehbuchautoren Künstler oder Dienstleister?

Ursprünglich waren mit den Arthouses bestimmte Programmkinos in den USA gemeint, die andere Filme als die damaligen Studio-Produktionen zeigten: Europäisches und asiatisches Kino, Indie-Filme aber auch Filmklassiker kamen zu einem bunten, vielfältigen Programm zusammen. In einer Zeit in der die großen Filmproduzenten selbst Arthouse-Filme herstellen, versteht man darunter aber einen ganz bestimmten Stil mit seinen eigenen Konventionen und Klischees.

Oft habe ich gehört, wir Deutschen müssten Filme ja nicht so machen, wie die Amerikaner. Was viele vergessen ist, dass die Amerikaner schon lange kein wirklich amerikanisches Kino mehr machen — sie machen Weltkino. Sie haben die Lehre gezogen, sich zu öffnen und Veränderungen von Außen zuzulassen. Die Globalisierung ist nicht mehr umzukehren und wer nicht bereit ist, sich in dieser Weltkultur zu integrieren, ja damit zu arrangieren, wird irgendwann keine Möglichkeit mehr dazu haben.

In Deutschland sieht man sich immer noch in der Arthouse-Tradition als Gegenbewegung zum Mainstream. Statt einer Hauptfigur mehrere Hauptfiguren. Statt einem starken Plot ein Anti-Plot. Statt einem Fokus auf den Drive einer Figur, ein Fokus auf den Kontext. Außerdem, so die Behauptung, würden dadurch die Filme realistischer. Dass diese Filme nicht der breiten Masse gefallen, ist vollkommen beabsichtigt. Das alles ist eine reine Reaktion auf den Mainstream-Film und soll die Zuschauer bewusst vor den Kopf stoßen.

Mainstream ist nicht einzigartig

Es ist ganz egal, ob das jetzt ein Artstream-Film oder ein Mainhouse-Film ist. Kino ist ein Massenmedium und Kino kann nur wirtschaftlich überleben, wenn es für das Publikum gemacht ist.
– TIL SCHWEIGER

Den Filmemachern reicht es nicht, eigene Akzente zu setzen. Sie möchten eigene Wege gehen, keine ausgetretenen Pfade. Sie möchten ihre persönliche Kunst machen, nicht die von jemand anderem. Vieles spricht dafür, dass genau das den Erfolg eines Künstlers ausmacht: Seine eigene Stimme zu finden und diese umzusetzen. Auf der anderen Seite ist dieser Wunsch eine ganz klare Falle:

  • Sie müssen sich ständig mit anderen vergleichen
  • Sie müssen immer wieder das Rad neu erfinden
  • Sie können nie einzigartig genug sein
  • Sie können keine Kompromisse eingehen, die fürs Filmemachen unabdinglich sind
  • Bei dem Versuch, mit dem Mainstream zu brechen, greifen sie meist auf dieselben Klischees 2. Grades zurück wie ihre Arthouse-Kollegen

Mainstream ist nicht rebellisch

Wenn man weiß, wer der Böse ist, hat der Tag Struktur.
– VOLKER PISPERS

Als Rebellen sehen sie sich in der politischen Verantwortung, das gegenwärtige System zu Fall zu bringen. Aber wie möchten sie das System des Massengeschmacks stürzen, wenn nicht mit seinen eigenen Waffen? Den wenigsten Anti-Mainstream-Künstlern gelingt es, überhaupt ein Publikum zu erreichen. Und für wen, wenn nicht für ein Publikum, werden Filme gemacht? Rebellion um der Rebellion Willen war noch nie eine Antwort. Wir müssen uns die Frage gefallen lassen, was wir langfristig bezwecken möchten. Als Individuen genauso wie als Gemeinschaft. Erst wenn wir das wissen, können wir einen Plan entwickeln, um unsere Ziele zu erreichen.

Mainstream will nicht belehren

Wenn du die Welt verändern willst, fange bei dir selber an.
– MAHATMA GANDHI

Viele Filmemacher scheinen zu glauben, dass das Publikum sich mit ihrem Werk auseinanderzusetzen muss. Mir ist auch schon passiert, dass niemand meinen Film sehen wollte. Ja, das schmerzt ganz schön. Aber damit muss man leben und erkennen, dass es vielleicht nicht der richtige Film war. Film als moralische Bildungsanstalt bedeutet nicht, dem Publikum etwas vorzusetzen, was es von alleine schlucken muss.

Mainstream toleriert weniger handwerkliche Mängel

Der letzte Punkt ist für mich der wichtigste: Handwerkliche Mängel werden oft nicht als solche wahrgenommen, sondern zur künstlerischen Freiheit umgedeutet. Wie in allen Berufen lernen die meisten Künstler ihre wichtigsten Techniken im ersten Jahr, danach wird kaum noch an sich selbst gearbeitet.

Ist das Kunst oder kann das weg?
– Unbekannt

Künstler haben aber die perfekte Ausrede: Es ist doch Kunst. Sie muss doch verschwurbelt und schwer zu deuten sein. Sie muss doch nicht beim Publikum ankommen, sie steht für sich selbst. Wer diese Aussagen glaubt, für den gibt es nur künstlerischen Stillstand. Wer so denkt, muss sich niemandem beweisen, also kann er seine Arbeit genau so lassen, wie sie aus ihm herauskam: roh und ungeschliffen. Keep your Darlings, oder so ähnlich. Der Druck, ein Publikum finden zu müssen — seine Aussage klarer zu machen, den Film packender —, dass das zu einer besseren Qualität führt, wird vollkommen ausgeblendet. Manchmal, so scheint mir, kann man sich das Leben wirklich einfach machen.


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  1. Arthouse-Filmästhetik